Dokumente: 1916-10-14 Tatbestandsaufnahme in einem Vergleichsfall

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Detailinformationen

Datum

14 Oktober 1916

Ort

München

Art des Dokumentes

Tatbestandsaufnahme

Verfasser

Harrer

Verfasst für

Polizeidirektion München

Verfügbar

Hauptstaatsarchiv München, MInn 72422

Inhalt

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Betreff:
Tatbestandsaufnahme aus
Anlaß der Tötung der Kauf=
mannsehefrau Klara Debold


Der Erkennungsdienst (der Unterfertigte, Sicherheitskommissär
Franz Ott und Kriminalschutzmann Andreas Biegleder) kam am 9. Ok=
tober abends kurz nach 9 Uhr in die Wohnung Ruffinistraße 6/0 1.
Auf den ersten Eindruck zeigten sich keine Spuren, die auf die Bege=
hung eines schweren Verbrechens hingewiesen hätten. Auch das Wohn=
zimmer, in dem die Leiche lag, machte nicht den Eindruck, als sei in
der Stellung der Einrichtungsgegenstände eine mit der Tat im Zusam=
menhang stehende Veränderung vorgekommen. Lediglich nächst der Leiche
war der große Teppich, der den Fußboden in der Hauptsache bedeckt,
in größerem Umfange zusammengeschoben und etwa 35 cm vom linken Knie
der Leiche entfernt lag eine etwas zusammengedrückte Zeitung, die
wie sich später ergab völlig durchfeuchtet war. Diese Zeitung wurde
wie hier gleich bemerkt werden kann am nächsten Tage in ein sauberes
Glas genommen und mit dem Ersuchen um Feststellung
der Art der Feuchtigkeit an Herrn Universitätsprofessor Dr. Heidusch=
ka in Würzburg geschickt. Im Benehmen mit dem etwas später eingetrof=
fenen Ermittlungsrichter, Herrn K. Amtsrichter Morgenroth, wurden so=
dann bei Blitzlicht 3 Lichtbilderaufnahmen gemacht. Die erste - I -
zeigt die Getötete in Parallelaufnahme von oben; auf diesem Bilde
machen sich naturgemäß die Beine des Stativs etwas störend bemerkbar.
Die zweite aufnahmen - II. - zeigt die Leiche und ihre nähere Umge=
bung vom Standorte zwischen Tisch und Schreibtisch. Die 3. Aufnahme
- III. - ist von einem Standorte nächst der Türe zum Empfangszimmer
gemacht. (Die weiße Platte im Vordergrund ist die Platte für photo=
grammetrische Aufnahmen nach Dr. Heindl; doch ist sie in diesem Falle
nicht recht verwertbar, das sie parallel zum unteren Bildrande liegen


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sollte, und dies bei der Schwierigkeit der Einstellung nicht
gelungen ist.) Die Aufnahmen II. und III. lassen ersehen, daß
die Rolläden an den beiden Fenstern herabgelassen waren. Sie
waren nicht ganz herabgelassen, sondern nur bis auf etwa 30 cm
oberhalb des Fensterstockes, weil auf den äußeren Fensterstök=
ken Blumentöpfe standen. Der weiße Uebervorhang, der nächst der
rechten Kopfseite der Toten eigentlich hätte zu Boden hängen
müssen, war über den vor dem SChreibtisch stehenden Stuhl ge=
legt.
Bei der Augenscheineinnahme, die sich anschloß, wurde beson=
deres Augenmerk auf folgende Feststellung gelegt: ob der
Tötung ein Kampf zwischen Frau Debold und dem Täter vorangegan=
gen war, ob die Tötung oder wenigstens die nach Angabe des K.
Polizeiarztes Dr. Riegner wahrscheinliche vorherige Betäubung
an einem anderen Platze als dem Auffindungsorte erfolgt war, ob
sich Spuren des Täters fanden und ob ein Werkzeug vorhanden wä=
re, das zur Tat benützt worden sein könnte. Um Wohnzimmer selbst
fanden sich ausser den bereits oben erwähnten, keine Spuren, die
auf einen Kampf hindeuten würden. Lediglich die Tischdecke war
etwas in der Richtung nach der Leiche zu verschoben, jedoch
nicht so weit, wie dies IV. ersehen läßt. Ganz nahe an der Mitte
der zum Empfangszimmer führenden Flügeltüre fand sich ein größ=
erer Blutstropfen und in dem Empfangszimmer selbst von der Türe
ausgehend eine Reihe von kleineren Blutspritzern in der Richtung
nach West-Nordwest. Weder in diesem Empfangszimmer noch in dem
Schlafzimmer, dem Wohnungsgange, der Küche, der Abstellkammer, dem
Abort oder dem Badezimmer konnten Spuren gefunden werden, die mit
der Begehung der Tat in Zusammenhang zu bringen gewesen wären. In
dem Schlafzimmer war der Rolladen bis auf etwa 38 cm oberhalb des
Fensterstockes herabgelassen und das Fenster geschlossen. Auf dem
einen Bette lag ein zusammengefaltetes, noch nicht gebrauchtes Hemd,


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auf dem anderen eine Männerhose und ein Männerrock. Die Betten waren
aufgemacht. Nächst der Waschkommode stand am Boden ein offener Ka=
sten mit verschiedenem Werkzeug, zu oberst lag der Hammer, der zu
Amtshanden genommen wurde, aber keinerlei verdächtige Spuren auf=
wies. In der Küche war das Fenster ebenfalls geschlossen und der
Rolladen vollständig heruntergelassen. Nichts wies hier darauf hin,
daß Vorbereitungen für ein Mittagessen getroffen worden wären
oder daß jemand an diesem Tage ein Mittagessen eingenommen hätte.
Auf dem Anrichtetisch stand das Frühstücksgeschirr augenscheinlich
noch genau so, wie es aus dem Zimmer herausgebracht worden war und
sonst waren keine Teller oder Töpfe vorhanden, die auf einen späteren
Gebrauch schließen ließen.
Die Augenscheineinnahme wurde gegen 11 Uhr abgebrochen und
am 10.X. vorm. 8 1/2 Uhr fortgesetzt, nachdem inzwischen durch die po=
lizeiliche Ueberwachung die Möglichkeit von Veränderungen ausge=
schlossen worden war. + Zunächst wurde im Benehmen mit dem Ermitt=
lungsrichter noch bei herabgelassenen Rolläden eine Blitzlicht=
aufnahme des Wohnzimmers von dem Standorte vor dem Sofa und sodann
bei Tageslicht eine Nahaufnahme von dem Oberkörper der Getöteten
gemacht: - IV. und V. - Die Nachforschung an und nächst der Getö=
teten nach Spuren, die vom Täter stammen oder auf diesen schließen
lassen könnten, war ergebnislos. Die Lage der Leiche dürfte aus den
Aufnahmen I.,II. und V. sowie aus den Vergrößerungen VI. und VII.
von Ausschnitten aus I. genügend ersichtlich sein. Die Haare waren
nicht gelöst, wohl aber durch Druck oder Zug aufgelockert. Die Schoß=
bluse war in der Hauptsache aufgesprengt und nach völliger Oeff=
nung zeigte sich, daß die Futterbluse ebenfalls zum größten Teile
geöffnet war und daß die beiden noch geschlossenen Druckknöpfe
verknöpft waren. Zweiter Druckknopfteil des linken Seitenflügels
auf erstem Druckknopfteil des rechten. Der Rock war bis nahezu
in Kniehöhe hinaufgeschoben, anscheinend wohl dadurch, daß die Frau
in liegender oder sitzender Stellung aus der Richtung von dem


+ Anstelle von Sich.=Komm. Ott nahm Krim.=Wachtm. Alois Scheuring teil.


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Schreibtische weg gegen den Divan zu geschoben worden ist oder
daß die Beine der am Bogen Liegenden in die Höhe gehoben worden
sind. Für ein Fortschieben des Körpers könnten die augenschein=
lich durch die Absatzkappen hervorgerufenen Streifen auf dem
Fußboden sprechen, von denen einer auf VII. deutlich ersichtlich
ist und die später noch zu erwähnen sein werden. Ueber einige
Druckstellen an den Schenkeln der Leiche und darüber, daß die
Hose in ziemlich weiter Ausdehnung anscheinend mit Urin ge=
tränkt war, wird das Leichenöffnungsprotokoll wohl Näheres ent=
halten; eingehendere Feststellungen in dieser Richtung sind am
Tatorte unterblieben. Rechts oberhalb vom Kopfe der Leiche lag
ein Meßstock (Elle) in Zierarbeit - auf I. ist der Griff zu se=
hen - ; es wurde für ausgeschlossen erachtet, daß mit diesem Ge=
genstande eine ernstlichere Kopfverletzung verursacht werden
konnte. Die Lage des Blutfleckens bei der Türe zum guten Zimmer
wurde durch Messung bestimmt und die Blutspritzer im guten Zim=
mer, soweit möglich, mit Pauspapier nachgezeichnet und dann mit
Hilfe von Pausleinwand und arab. Gummi abgenommen.
Um eine Skizze von dem Wohnzimmer fertigen zu können, wurden
entsprechende Messungen vorgenommen. Wenn auf der Skizze selbst
der Tisch in der Mitte des Zimmers schräg gestellt erscheint, so
muß dazu bemerkt werden, daß man im Zimmer selbst nicht den Ein=
druck hatte, als ob der Tisch erheblich schräg stehe, und daß
vielleicht ein Fehler bei der Abnahme der Maße oder ihrer Auf=
zeichnung vorgekommen ist. Jedenfalls muß als sicher angesehen
werden, daß der sehr schwere Tisch nicht bei der Begehung der Tat
aus seiner Stellung verschoben worden ist. - Der Plan von der
gesamten Wohnung ist nach dem von der Lokalbaukommission er=
holten Bauplane gefertigt worden.
Aus der Durchsuchung der Wohnung konnte gefolgert werden, daß
der Täter wohl keine Behältnisse durchwühlt oder zum Versteck
eines bei der Tat benützten oder mit der Tat im Zusammenhang


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stehenden Gegenstandes gewählt hat. Frau Debold hatte wie ihr Mann
glaubhaft angibt nach der am 4.X. erfolgten Rückkehr von der Hoch=
zeitsreise sich damit beschäftigt, die Schränke und Kästen der
Möbelstücke aus= und umzuräumen und ihre eigenen Sachen unter=
zubringen. Auf die Umräumung deutet auch der im Wohnzimmer vor
Fenster II stehende, mit Schriftstücken, Heften usw. gefüllte
Wäschekorb und die mit allerhand Sachen bedeckte Platte des
Schreibtisches hin. Franz Debold sagte, daß der Schreibtisch bis=
her in der nördl. Ecke des guten Zimmers stand, in der sich nun
ein Pianola befand, und daß die unteren Schränke in den Wäsche=
korb entleert wurden, um das Gewicht des Möbelstückes für die
Umstellung zu vermindern.
Nach der Fortbringung der Leiche wurde die Lagestelle näher
betrachtet. An der Tapete unter dem Fenster I befanden sich
einige Blutspritzer; die Tapete wurde deshalb in einer Breite von
76 1/4 cm abgetrennt und gesichert. Auffallend war, daß sich zwischen
der Blutlache, in der die Leiche lag, und der Fußleiste an der
Fensterwand keine Blutspritzer fanden; VI. läßt dies deutlich er=
sehen. Wäre der weiße Uebervorhang, der über dem Schreibtischstuhle
lag, richtig gehangen, nämlich bis auf 3 cm Bodenabstand auf etwa
40 cm über die 16 cm tiefe Fensternische hinein, so hätten die
Spritzer wohl nicht an die Tapete gelangen können, weil sie durch
den Vorhang aufgehalten worden wären. Der Vorhang selbst hat an
der dem Zimmer zugewendeten Seite nur wenige Blutspritzer, auf
der Fensterseite dagegen mehrere blutige Wischer. Man möchte dar=
nach annehmen, daß die Blutspritzer an Tapete und Vorhang nicht
dadurch entstanden sind, daß eine der Halswunden bei dem Ein=
schnitte spritzte, sondern daß eine blutige Hand die wenigen
Blutspritzer an Wand und Vorhang verursachte und dann den Vor=
hang in die Höhe über den Schreibtischstuhl gestreift hat, wobei
die blutigen Wischer entstanden.


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In dem Kästchen des Wandtisches im Wohnzimmer fand sich ein
griffestes Messer, dessen Klinge Spuren aufwies, die möglicher=
weise von Blut stammten. Das Messer wurde mitgenommen und zur
Untersuchung der Spuren dem gerichtl.medizinischen Institut über=
mittelt. Ein weiteres, etwas größeres griffestes Messer fand sich
in der rechten Schublade der Waschkommode im Schlafzimmer, dieses
wurde ebenso wie ein Fleischmesser und ein Brotmesser, die sich
in der Schublade des Küchentisches befanden, mit zu Amt genommen.
Irgendwelche verdächtige Spuren zeigten diese 3. Messer nicht.
Links von der Eingangstüre zur Wohnung, von innen aus gesehen,
stand ein viereckiger Ofen ohne Rauchrohranschluß und wiederum
links von diesem OFen stand ein Reisekorb, der noch die Bahnmarke
Tegernsee-München vom 4. Oktober trug. Auf der Oberseite dieses
Korbes, auf dem noch 2 Pappschachteln standen, fanden sich ein
größerer Fleck und einige Wischer, anscheinend vor nicht langer
Zeit durch Blut verursacht. An der Innenseite des Deckels, ziemlich
an der gleichen Stelle, an der sich aussen der Blutfleck befand,
fand sich ebenfalls ein Blutfleck, doch konnte dieser nicht, wie
man zuerst annehmen mochte, infolge Durchlaufens des Blutes von
aussen entstanden sein, da die Verbindung mit dem äusseren Fleck
zumeist fehlt. Von dem Deckel des Korbes wurden in 8,5 facher Ver=
kleinerung und von den Blutflecken in natürlicher Größe Licht=
bilderaufnahmen gemacht. Der Korb selbst wurde zur weiteren Unter=
suchung der Spuren in das gerichtl.medizinische Institut verbracht.
In dem Badezimmer, dessen Türe wegen des davorstehenden Korbes
und einer links von der Türe im Wohnungsgangestehenden Bank nur
mittels Durchzwängens durchschritten werden konnte, stand gleich
rechts von der Türe ein kleinerer Korb mit zusammengelegter ge=
brauchter Wäsche. Auf diesem Korbe lagen auf einem Keilkissen und
unter anderen Wäschestücken ein Frauentaghemd und ein Frauennacht=
hemd, die beide ausgedehntere blutige Stellen aufwiesen. Es wurde


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angenommen, daß es sich hier um Menstruationsblut handelte und
die beiden Hemden wurden ebenfalls in das gerichtl.medizinische
Institut verbracht.

München, den 14. Oktober 1916 Abteilung Ib:

Tenner


Bemerkungen

Vergleichsfall, kein Zusammenhang mit dem Mordfall Hinterkaifeck