Dokumente: 1922-08-22 Beschluß des obersten bayer. Landgericht in München in Erbsachen Gabriel

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Detailinformationen

Datum

22.08.1922

Ort

München

Art des Dokumentes

Antwortschreiben vom Obersten Landesgericht

Verfasser

Oberstes Landesgericht

Quelle

Staatsarchiv München, AG Schrobenhausen NR 1922/41-43

Inhalt

Reg III. Nr. 75/1922
Zum Abdruck bestimmt



Beschluß.

Auf die weitere Beschwerde des Gütlers Karl Gabriel in Laag gegen den Beschloss des Landgerichts Neuburg a.D. vom 30. Juni 1922 in der Nachlaßsache der Gütlerswitwe Viktoria Gabriel von Hinterkaifeck beschließt das Oberste Landesgericht -Ferienzivilsenat - unter Mitwirkung des Präsidenten Staatsrats Dr. von Unzner und der Räte Ulrich, Knauer, Dr. Silberschmidt und Dr. Engelmann in der Sitzung vom 29 Juli 1922:

Reg III. Nr. 75/1922
Zum Abdruck bestimmt



Beschluß.

Auf die weitere Beschwerde des Gütlers Karl Gabriel in Laag gegen den Beschloss des Landgerichts Neuburg a.D. vom 30. Juni 1922 in der Nachlaßsache der Gütlerswitwe Viktoria Gabriel von Hinterkaifeck beschließt das Oberste Landesgericht -Ferienzivilsenat - unter Mitwirkung des Präsidenten Staatsrats Dr. von Unzner und der Räte Ulrich, Knauer, Dr. Silberschmidt und Dr. Engelmann in der Sitzung vom 29 Juli 1922:

   I. Die weitere Beschwerde des Karl Gabriel wird als unbegründet zurückgewiesen.
   II. Karl Gabriel hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Jr. der Nacht vom 31. März auf 1. April 1922 wurden im Einödsanwesen Hinterkaifeck die sämtlichen Bewohner desselben, darunter die verwitwete Anwesensbesitzerin Viktoria Gabriel, ihre siebenjährige Tochter Zäzilie Gabriel und ihre leiblichen Eltern, die Austräglerseheleute Andreas und Zäzilie Gruber ermordet.
Nach Durchführung der Nachlaßverhand1ungen stellte das Amtsgericht Schrobenhausen als das zuständige Nachlaßgericht zu den Akten einen Erbschein aus, in dem bezeugt wird, daß die vom 31. März auf 1.Apri1 1922 oder um diese Zeit herum in Hinterkaifeck verstorbene Bauerswitwe Viktoria Gabriel geb.Gruber auf Grund Gesetzes beerbt wurde von 1. Zäzilie Starringer, Gütlersfrau in Gerenzhausen zur Hälfte, 2: Anna Gruber Dienstmagd in Greinstetten,

  I. Die weitere Beschwerde des Karl Gabriel wird als unbegründet zurückgewiesen.
   II. Karl Gabriel hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Jr. der Nacht vom 31. März auf 1. April 1922 wurden im Einödsanwesen Hinterkaifeck die sämtlichen Bewohner desselben, darunter die verwitwete Anwesensbesitzerin Viktoria Gabriel, ihre siebenjährige Tochter Zäzilie Gabriel und ihre leiblichen Eltern, die Austräglerseheleute Andreas und Zäzilie Gruber ermordet.
Nach Durchführung der Nachlaßverhand1ungen stellte das Amtsgericht Schrobenhausen als das zuständige Nachlaßgericht zu den Akten einen Erbschein aus, in dem bezeugt wird, daß die vom 31. März auf 1.Apri1 1922 oder um diese Zeit herum in Hinterkaifeck verstorbene Bauerswitwe Viktoria Gabriel geb.Gruber auf Grund Gesetzes beerbt wurde von 1. Zäzilie Starringer, Gütlersfrau in Gerenzhausen zur Hälfte,
2. Anna Gruber, Dienstmagd in Greinstetten,
3. Josef Gruber Taglöhner in Pfaffenhofen
4. Bernhard Gruber, Gütler in Strobenried
3. Josef Gruber Taglöhner in Pfaffenhofen
4. Bernhard Gruber, Gütler in Strobenried
  zu je einem Zehntel,
5. Josef Starringer, Gütlerssohn in Schachach
6. Marie Starringer, Dienstmagd in Lichthausen
  zu je einem Zwanzigstel, 7. Therese Gruber, Gütlerstochter in Grünstetten
8. Marie Wagner, geb.Gruber, Sattlersfrau in Grüntegernbach
9. .Leonhard Gruber, Gütlerssohn in Grünstetten
10. Peter Gruber, Gütlerssohn in Grünstetten
11. Michael Gruber Gütlerssohn in Grünstetten
  zu je einem Fünfzigstel

>br> Das Amtsgericht ging hierbei von der Annahme aus, daß die minderjährige Zäzilia Gabriel nit ihrer Mütter Viktoria Gabriel in einer gemeinsamen Gefahr" im Sinne des § 20 des Bürgerlichen Gesetzbuchs umgekommen sei, deshalb Mutter und Tochter als gleichzeitig gestorben anzusehen seien und; die Tochter-für die Erbfolge auszuscheiden habe.
Gegen diesen Beschluß, von dem inhaltlich der Akten lediglich dem Finanzamt Schrobenhausen zum Zwecke der Katasterumschreibung Mitteilung gemacht worden war, legte Justizrat Rechtsanwalt Graf in Neuburg Namens des Gütlers Karl Gabriel in Laag, des väterlichen Großvaters der Zäzilie Gruber (Anm.: gemeint ist Gabriel) Beschwerde zum Landgerichte Neuburg ein mit dem Antrag 1. die Ausstellung des Erbscheins als unzulässig aufzuheben, 2. Erbschein von Amtswegen einzuziehen und wenn derselbe schon erteilt sein sollte und nicht sofort erlangt werden könne durch Beschluß für kraftlos zu erklaren.
Zur Begründung der Beschwerde wurde geltend gemacht: Die minderjährige Zäzilie Gabriel habe ihre Mutter Viktoria Gabriel allein beerbt, der Beschwerdeführer als Großvater der Zäzille Gabriel sei der Alleinerbe der letzteren geworden und deshalb gebühre ihm auch allein der Nachlaß Viktoria Gabriel. Die Voraussetzungen des § 20 BGB. lägen nicht vor, denn ein mehrfacher Raubmord, dem die Bewohner des Einödanwesens Hinterkaifeck zum Opfer fielen, sei nicht ein Ereignis, sondern umfasse mehrere Ereignisse, es könne deshalb nicht davon gesprochen werden, daß mehrere Personen in einer gemeinsamen Gefahr umgekommen seien und hiernach die gesetzliche Vermutung für einen gleichzeitigen Tod bestehe.

Aber selbst wenn man annehme, daß Mutter und Tochter in einer gemeinsamen Gefahr gemäß 5 20 BGB. umgekommen wären, erscheine die Ausstellung des Erbscheins unbegründet, denn nach § 2354 BGB. habe derjenige, der die Ausstellung des Erbscheins als gesetzlicher Erbe beantragt, anzugeben, in welcher Weise die Personen, durch die der Antragsteller von der Erbfolge ausgeschlossen in Wegfall gekommen seien und die Richtigkeit dieser. Angaben nach § 2356 BGB. in erster Linie durch öffentliche Urkunden und ausnahmsweise durch Angabe anderer Beweismittel nachzuweisen. Das Landgericht Neuburg a.D. wies durch Beschluß -vom 20.04.1922 die Beschwerde des Karl Gabriel gegen den Beschluß des Amtsgerichts Schrobenhausen vom 7. Juni 1922 zurück und überbürdete die durch das Rechtsmittel verursachten Kosten dem Beschwerdeführer.
Das Landgericht erachtete zwar nicht den primären Antrag auf Aufhebung der Ausstellung des Erbscheins, wohl aber den Antrag auf Einziehung desselben für lässig, kam jedoch zur Abweisung ;fieses Antrags, weil nach seiner Meinung die in der Nacht 31. März auf 1. April 1922 ermordeten Personen in einer "gemeinsamen Gefahr" im Sinne des § 20 BGB. umgekommen, hienach aber Kraft gesetzlicher Vermutung als gleichzeitig gestorben zu erachten seien.
Gegen diesen Beschluß legte Justizrat Graf am 11./ 12. Juli 1922 Namens des Karl Gabriel weitere Beschwerde ein; er beantragte: unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Ausstellung des Erbscheins vom 7. Juni 1922 als unzulässig aufzuheben, eventuell den Erbschein von Amtswegen einzuziehen und wenn derselbe schon erteilt sein sollte und nicht sofort erlangt werden könne, durch Beschluß für kraftlos zu erklären, subeventuell das Nachlaßgericht anzuweisen, den Erbschein einzuziehen und wenn er nicht sofort erlangt werden känne, aber schon erteilt sein sollte, für kraftlos zu erklären; und auf alle Fälle die Kosten den im Erbschein aufgeführten Erben, die ja auch den Erbschein beantragt hätten, zu überbürden.
Bei der Würdigung der weiteren Beschwerde wurde folgendes erwogen:

Unbestrittenermaßen hat das Nachlaßgericht den von, den Beteiligten erbetenen Erbschein lediglich zu den Akten ausgestellt, eine Bekanntgabe desselben an die Antragsteller durch Zustellung einer Ausfertigung des Erbscheins aber unterlassen und nur dem Finanzamt zum. Zwecke der Umschreibung des Katasters vom Inhalt des Erbscheins Mitteilung gemacht.
Es kann nun unerörtert bleiben, ob schon in dieser Bekanntgabe die Erteilung des Erbscheins nach § 2353 BGB. zu erblicken ist und wenn nicht, ob ein Erbschein erst dann als erteilt gilt, wenn dem Antragsteller der Beschluß des Nachlaßgerichts über die Erteilung des Erbscheins zugegangen ist - eine Rechtsanschauung, welche der Senat in ständiger Rechtsprechung vertritt -(s.Sammlung Bd. II S.543, Bd.XVIII A S.180, Bd.XIX A 211), sonach aber der primär gestellte Antrag und nicht, wie das. Beschwerdegericht annimmt, der Eventualantrag auf Einziehung zulässig ist. Denn die weitere Beschwerde ist in Ansehung der sämtlichen gestellten Anträge unbegründet.
Die Annahme des Landgerichts, daß die Gütlerswitwe Viktoria Gabriel und ihr Töchterchen in einer gemeinsamen Gefahr umgekommen und deshalb nach gesetzlicher Vermutung - bis zur Erbringung des Gegenbeweises - gleichzeitig gestorben sind (§ 20 BGB.) muß die Billigung des Senats finden.
Eine gemeinsame Gefahr im Sinne des § 20 a.a.O. ist die für eine Mehrheit von Menschen mit einem und demselben Geschehnis entstandene außergewöhnliche Bedrohung des Lebens (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd.93 S.485), es muß sich um einen äußeren gleichzeitig das Leben mehrerer Menschen bedrohenden Vorgang handeln: ein solcher kann :nicht nur in einen Unglücksfall (Überschwemmung, Brand, Erdbeben, Seenot)s ondern auch in einem Verbrechen liegen. das sich gleichzeitig ,gegen mehrere Personen richtet und auf die Tötung derselben abzielt. Dies trifft aber im gegebenen Falle zu.
Gleichgiltig ist es (s. Ortmann 5 20, 2), ob die mehreren Personen gleichzeitig oder nacheinander von der Gefahr betroffen wurden, nicht aber ist es gleichgiltig, ob die Vernichtung der Opfer zu gleicher Zeit geschah resp. hat geschehen können oder nicht; nur wenn feststeht, daß der Tod nicht gleichzeitig eingetreten sein kann, muß die Vermutung des. § 20 entfallen (s.Arch.f.Civ.Pr.Bd. 107 S.368).
Jn welcher Reihenfolge die Bewohner des Anwesens in Hinterkaifeck von den Raubmördern oder dem einzigen Täter tötlich verletzt wurden und in welchem Zeitpunkt die einzelnen Opfer ihr Leben ließen, ist zur Zeit völlig im Dunkeln. Ob diese Frage bei Ermittlung der Täter jemals eine zweifelsfreie Lösung finden wird, kann dahin gestellt bleiben. Zur Zeit steht nur soviel fest, daß anlässlich des im besagten Anwesen verübten Verbrechens dessen sämtliche Jnwohner getötet wurden; nach der Rechtsvermutung des § 20 BGB. müssen dieselben deshalb als gleichzeitig gestorben erachtet werden. Die Vorschrift des § 2356 BGB. steht der Ausstellung des beantragten Erbscheins nicht entgegen . Allerdings hat der Antragsteller nach § 2356 Abs.1 Satz 1 a.a.O. durch öffentliche Urkunden nachzuweisen, in welcher Weise die Person weggefallen ist, durch die er von der Erbfolge ausgeselassen wurde (§ 2354 Abs.2). Allein mangels solcher Urkunden genügtt gemäß §t 2356 Abs. I S.2 die Angabe anderer Beweismittel und als ein solches Beweismittel muß die dem Antragsteller im gegebenen Fall gemäß §20 BGB. zur Seite stehende Rechtsvermutung gelten.
Aber selbst wenn man in vowürfiger Sache von einer gemeinsamen Gefahr nicht sprechen könnte und in dem begangenen Verbrechen mehrere selbständige gegen die einzelnen Personen gerichtete Lebensbedrohungen erblicken würde, so dürfte man doch mangels Jeglichen Nachwelses über die Reihenfolge der Todesfälle zum gleichen Ergebnis wie unter Anwendung des ¢ 20 BGB. gelangen, denn es wäre willkürlich von einer dieser Personen anzunehmen, daß sie die andere überlebt hat (v.Thur BGB. Bd. I S.384). Demnach erweist sich die weitere Beschwerde als unbegründet. Die Entscheidung im Kostenpunkte stützt sich auf Art.131 Ausf. Ges. zum BGB. Der Antrag der weiteren Beschwerde, die Kosten des Verfahrens den Erbbeteiligten nach Maßgabe des Erbscheins aufzuerlegen, ist unbegründet, da das gesamte Beschwerdeverfahren von Karl Gabriel betrieben wurde und nur hiedurch die ihm auferlegten Kosten entstanden sind.

gez. Unzner Ulrich Knauer Silberschmidt

Dr.Engelmann ist beurlaubt und deshalb an der Unterzeichnung verhindert.

gez. Unzner. 

Für den Gleichlaut der Ausfertigung mit der Urschrift. München, den 22. August 1922

Der Gerichtsschreiber des Obersten Landesgerichts