Dokumente: 1953-01-15 Bericht Herrnreiter

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Bericht des Ersten Staatsanwaltes Dr. Herrnreiter zum Mordfall Hinterkaifeck

Detailinformationen

Datum

15. Januar 1953

Ort

Augsburg

Art des Dokumentes

Bericht

Verfasser

Dr. Herrnreiter, Staatsanwalt
Leinfelder, Gerichtsassessor
Maginot

Verfasst für

Quelle

Staatsarchiv München, PolDir 8091b

Inhalt

Der Oberstaatsanwalt
Augsburg, den 15. Januar 1953

1 Js 244/52

An das
Bayer. Staatsministerium der Justiz
z. Hd. Herrn Ministerialrat Dr. Resch
München

über den
Herrn Generalstaatsanwalt
beim Oberlandesgericht
München 35
Justizpalast-Elisenstr. 1a

Betrifft:
Mord in Hinterkaifeck

Sachbearbeiter:
Gerichtsassessor Leinfelder

Berichterstatter:
Erster Staatsanwalt
Dr. Dr. Herrnreiter


I.
Vorbemerkung
Alle heute in der Mordsache Hinterkaifeck getätigten Ermittlungen wurden nicht nur von der Tatsache überschattet, daß die Tatzeit (31.3.1922) nunmehr über dreißig Jahre zurückliegt, sondern vor allem dadurch erschwert, daß die sehr umfangreichen Ermittlungsakten beim Brand des Augsburger Justizgebäudes im Jahre 1944 zugrunde gingen. Wenn es auch an Hand der bei den Polizeibehörden noch vorhandenen Zweitschriften im allgemeinen gelungen ist, die früheren polizeilichen Ermittlungen zwar nicht lückenlos aber doch in groben Zügen zu rekonstruieren, so fehlen doch die nur in den zerstörten Gerichtsakten vorhandenen bis 1944 getroffenen gerichtlichen Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen. Diese heute wiederherzustellen stößt auf größte, teilweise unüberwindbare Schwierigkeiten.

II.
Wesentliches Ergebnis der früheren Ermittlungen
Während sich die ersten von der Gendarmeriestation Hohenwart und der Gendarmeriehauptstation Schrobenhausen auf Weisung der seinerzeitigen Staatsanwaltschaft Neuburg(Donau) getätigten Ermittlungen mehr auf Ortsansässige und Einheimische erstreckten, gingen die Polizeidirektion München und das Landespolizeiamt München, die alsbald die weitere Verfolgung der Straftat übernahmen, von der Erwägung aus, daß der oder die Täter in den Kreisen unstet im Lande umherziehender Personen zu suchen seien. In Verfolgung dieses Gedankens wurden mehrere hundert Zigeuner, Bettler, Landstreicher, Handwerksburschen, usw. überprüft, ohne daß ein Erfolg gezeigt werden konnte. Ob im Rahmen dieser Aktion auch die nunmehr der Tat verdächtigten Gebrüder Gump einer Prüfung unterzogen wurden, kann heute nicht mehr festgestellt werden.
In den folgenden Jahren wurden durch die Staatsanwaltschaft Neuburg und nach deren Auflösung durch die Staatsanwaltschaft Augsburg Ermittlungen gegen eine Reihe von Personen gepflogen, die vor allem durch Gerüchte und anonyme Anzeigen der Täterschaft verdächtigt wurden. Allein auch insoweit können heute verwertbare Feststellungen, ob dabei die Gebrüder Gump eine Rolle spielten nicht mehr getroffen werden.
Fest steht jedoch nach den Angaben das heute noch bei der Staatsanwaltschaft Augsburg tätigen Ersten Staatsanwalts Dr. Dr. Herrnreiter, der in den ersten Kriegsjahren (1939-1942) den Fall bearbeitete, daß von dem seinerzeitigen Oberstaatsanwalt Dr. Hegel, der inzwischen verstorben ist, Weisung gegeben war, bei allen nur möglichen Gelegenheiten auf eine Unterbrechung der Verjährung durch richterliche Handlungen hinzuarbeiten.

III
Ermittlungsverfahren gegen die Gebrüder Gump
Nach Beendigung des Krieges wurden zunächst wiederum aufgrund von Gerüchten Erhebungen gegen verschiedene Personen durchgeführt. Die verfolgten Spuren erwiesen sich aber bald als unzutreffend.

Am 16.11.1951 brachte die „Schwäbische Landeszeitung“ eine Reportage unter dem Titel „Rund um Hinterkaifeck schweigen noch immer die Wälder. Ich kenne den Mörder!“, dessen Inhalt in der Behauptung gipfelte: ein Priester in einer kleinen Stadt in Schwaben kenne die Mörder von Hinterkaifeck. Als der betreffende Geistliche konnte der Benefiziat Hauber in Weißenhorn ermittelt werden, der aussagte, daß ihm im Jahre 1941 oder 1942, als er noch Kaplan in der Stadtpfarrkirche St. Pankratius in Augsburg war, eine kranke Frau anläßlich eines Versehganges außerhalb der Beichte mitgeteilt habe, ihre beiden Brüder seien die Mörder von Hinterkaifeck, auf Wunsch der Frau habe er sich Name, Alter und Anschrift auf einen Zettel notiert. Hauber konnte bei seiner ersten Vernehmung weder den Namen der Kranken noch den der Mörder angeben. Später fand er dann den Zettel, dem die Namen Anton und Adolf Gump enthält. Außerdem konnte festgestellt werden, daß der Versehgang am 1.9.1941 stattgefunden hat, es sich bei der kranken Frau um Kreszentia Maier, geb. Gump handelte und daß diese am 20.10.1941 verstorben ist.

Kreszentia Maier hat aber auch gegenüber einem zweiten geistlichen nämlich dem inzwischen verstorbenen Stadtpfarrer von St. Pankratius Geistl. Rat Ritzl, unter den gleichen Umständen und um dieselbe Zeit ihre beiden Brüder Anton und Adolf Gump als die Mörder von Hinterkaifeck bezeichnet. Geistl. Rat Ritzl, der vor seinem Tode noch vernommen werden konnte, schilderte den Vorgang ähnlich wie Benefiziat Hauber. Er konnte sich an die Namen Gump und den Heimatort Karlskron derselben erinnern.
Hauber und Ritzl, die nicht wußten, daß Maier beiden dasselbe Geheimnis anvertraut hatte, gaben übereinstimmend an, daß die Kranke damals einen geistig normalen Eindruck gemacht habe.

Im Zuge der nun einsetzenden Ermittlungen wurde festgestellt, daß Adolf Gump am 29.2.1944 in Würzburg verstorben ist, wobei er angeblich von Kriegsgefangenen erschlagen worden sein soll, während Anton Gump in Ingolstadt wohnt. Beide Brüder, wie auch deren Vater, wurden als brutal und rauflustig geschildert; Anton Gump gilt darüber hinaus noch als verschlossener und undurchsichtiger Charakter, der von seinem jeweiligen Arbeitskameraden durchwegs gemieden wurde.

Zur Tatzeit unterhielt Adolf Gump mit der ledigen landwirtschaftlichen Arbeiterin Magdalena Stampfl, nun verheiratete Schindler aus Thalhausen (Lkrs. Freising) ein Liebesverhältnis. Beide zogen durchs Land und bestritten ihren Lebensunterhalt durch Korbmachen und aus Diebstählen. Magdalena Schindler ist noch am Leben und konnte – allerdings ohne besonderes Ergebnis – vernommen werden. Anton Gump stand Ende März bis Anfang April 1922 bei der Firma Despag in Ingolstadt in Arbeit. Wie dort festgestellt werden konnte, arbeitete der Betrieb damals kurz, sodaß durchaus die Möglichkeit besteht, daß in den letzten Tagen der Woche nicht gearbeitet wurde.

Da nach dem oben Gesagten hinreichender Tatverdacht gegen Anton Gump gegeben, die Möglichkeit einer Verjährungsunterbrechung sehr wahrscheinlich war und zu befürchten stand, daß Anton Gump bei Bekanntwerden des gegen ihn aufgetauchten Tatverdachts Verdunklungshandlungen vornehmen, insbesondere mit der Zeugin Schindler in Verbindung treten werde, wurde am 3.5.1952 gegen ihn Haftbefehl erwirkt, der am 7.5.192 in Vollzug gesetzt wurde.


Im Laufe der weiteren Erhebungen ergaben sich gegen Anton Gump, der die Tat bestreitet, noch folgende Verdachtsmomente:

a) Anton Gump bestreitet die Örtlichkeit von Hinterkaifeck und die Orte Gröbern und Waidhofen zu kennen, obwohl er vier Jahre lang als landwirtschaftlicher Arbeiter in dieser Gegend beschäftigt war. Auffallend ist auch, daß er bei seiner Vernehmung sofort sagte, es sei kein Raubüberfall gewesen, weil nichts geraubt worden sei, obwohl die Veröffentlichungen in der Presse stets nur von einem „Raubmord“ sprachen.

b) Anfangs bestritt Anton Gump um die Tatzeit herum beim Hamstern in der Schrobenhausener Gegend gewesen zu sein, später gab er jedoch zu, im Herbst 1922 in einem Bauernanwesen in der Gegend von Schrobenhausen eine Gans und Äpfel gehamstert zu haben. An den Ort will er sich nicht mehr erinnern können, sein Bruder Adolf habe bei dieser Gelegenheit nur nach Nordwesten gezeigt und gesagt, daß hinten Hinterkaifeck liege. Auch die Zeugin Schindler gibt an, daß sie 1922 mit den Gebrüdern Gump in der Schrobenhausener Gegend beim Hamstern war.

c) Während seiner Inhaftierung im Gerichtsgefängnis Donauwörth erzählte Anton Gump einem Mitgefangenen, Strobel, daß sein Bruder Adolf der Mörder von Hinterkaifeck sei, er selbst aber mit der Tat nichts zu tun habe. Allerdings habe er kurz vor und nach der Tat mit seinem Bruder gesprochen.

d) bei Anton Gump wurde ein Zettel sichergestellt, auf welchem er sich, offenbar in der Absicht, sich nicht in Widersprüche zu verwickeln, Teile einer früheren Aussage notiert hatte.

Der für die Fortführung des Verfahrens ausschlaggebende n Frage der Verjährungsunterbrechung wurde weitgehend Bedeutung geschenkt. Durch umfangreiche Erhebungen konnte als letzte nachweisbare richterliche Handlung der Erlaß eines Haftbefehls durch das Amtsgericht Schrobenhausen gegen einen gewissen Gabriel im Jahre 1937 festgestellt werden. Ob in Richtung gegen Gump Adolf und Anton vor 1942 zur Verjährungsunterbrechung geeignete richterliche Handlungen vorgenommen wurden, konnte bisher nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Ausfindig gemacht wurde jedoch ein Polizeibeamter (Beck), der angab, daß er im Jahre 1937 oder später Postenchef des LP-Posten Unterbruck (LK. Freising) aufgrund eines vermutlich von der Staatsanwaltschaft Augsburg ausgegangenen Ermittlungsschreibens erfolglos nach dem Aufenthalt eines Gump geforscht habe. In den Ermittlungsschreiben sei Gump als im Verdacht der Täterschaft hinsichtlich des Mordes in Hinterkaifeck bezeichnet gewesen. Gegenwärtig werden neue Ermittlungen angestellt, ob Gump etwa im Jahre 1937 oder später zur Festnahme ausgeschrieben war, was Schlüsse auf das Vorhandensein eines Haftbefehls zulassen würde, und ob in dem Postein- und ausgangsbuch des LP.-Posten Unterbruck mehrere Angaben über das von Beck erwähnte Fahndungsersuchen erhalten sind.

Da die Strafkammer des Landgerichtes eine Unterbrechung der Verjährung nicht für nachgewiesen ansah, hat sie mit Beschluß vom 30.5.1952 den Haftbefehl gegen Gump aufgehoben.

IV.
Die letzten Presseveröffentlichungen
Der „Raubmord Hinterkaifeck“ wurde, wie sich schon aus der Natur der Sache ergibt, im Laufe der Jahre immer und immer wieder von der Presse aufgegriffen, wobei sich die Berichterstattung bestimmt nicht auf rein sachliche Unterlagen beschränkte, sondern häufig ins Sensationelle und Tendenziöse abglitt.
Die letzte Welle der Veröffentlichungen geht auf einen in Nr. 301 der „Schwäbischen Landeszeitung“ veröffentlichten Bericht „Hinterkaifeck gibt sein Geheimnis preis“ zurück. Dieser Bericht, der auf Grund der Tatsache, daß sein Verfasser gleichzeitig Mitarbeiter der DPA ist, Eingang in zahlreiche Blätter der Bundesrepublik fand, wurde von der Staatsanwaltschaft Augsburg nicht veranlaßt. Das geht – abgesehen davon, daß sowohl der frühere Sachbearbeiter, Staatsanwalt Dr. Popp, als auch der die Ermittlungen führende Polizeibeamte, POK Prähofer versichern, entsprechend einer wiederholt gegebenen ausdrücklichen Weisung keinerlei Informationen erteilt zu haben – schon daraus hervor, daß der Bericht offensichtliche Unrichtigkeiten z.B. bezüglich der Verjährungsfrist, des Täuschungsmanövers über die Einstellung usw. enthält.

Die Folge dieses Zeitungsberichts, der zudem noch in entstellter Form in auswärtige Blätter übernommen wurde, hatte zur Folge, daß sich der verdächtige Gump unter Nennung seines vollen Namens dagegen in Nr. 4 der „Schrobenhausener Zeitung“ vom 8.1.1952 verwehrte und mehrere Anfragen an die Staatsanwaltschaft Augsburg erfolgten. Mit Rücksicht darauf erscheint es vielleicht geboten, in der Presse eine Richtigstellung etwa folgenden Inhalts erscheinen zu lassen:
„In letzter Zeit ging durch einen Großteil der Presse die Meldung, daß der „Raubmord in Hinterkaifeck“ einer endgültigen Klärung zugeführt werden konnte, das Verfahren jedoch wegen Verjährung eingestellt werden mußte. Dieser Bericht, dem amtliche Feststellungen nicht zugrunde liegen, enthält eine Reihe unrichtiger Behauptungen, auf die im Interesse der immer noch nicht abgeschlossenen Erhebungen nicht eingegangen werden kann. Mit Bestimmtheit kann jedoch heute schon gesagt werden, daß die Angaben über die Verjährungsfrist und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen unrichtig sind. Auf alle Fälle können die Akten über den Raubmord in Hinterkaifeck aus dem Jahre 1922 noch nicht als geschlossen angesehen werden.“

Eine weitergehende Auslassung erscheint mir mit Rücksicht auf etwaige Folgen bedenklich, zudem bereits früher in die Ermittlung einbezogene Personen, wenn auch zunächst inoffiziell, bei den Polizeibehörden Ansprüche gegen unschuldig erlittener Untersuchungshaft usw. geltend machen zu wollen scheinen. Solche Ansprüche müßten aber beim derzeitigen Stand der Erhebungen, die abgesehen vom Gesichtspunkt der Verfolgungsverjährung kaum zur Anklageerhebung, bestimmt aber nicht zur Verurteilung ausreichen würden, von vornherein zu einem Mißerfolg verurteilt sein.
Über den Fortgang des Verfahrens werde ich zu gegebener Zeit weiter berichten.

(Dr. Maginot)

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