Sachverhalte: Der Heudiebstahl

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Was?

1931 wird Lorenz Schlittenbauer von der Polizei vorgehalten, dass er in den Nächten um die Tat herum nicht im Wohnhaus, sondern auf dem Heuboden geschlafen habe.
Dies wurde von ihm heftig bestritten und die Polizei glaubte ihm.

In unserem Diskussionsforum (Registrierung erforderlich) werden viele Aspekte dieser Heuwache eingebracht. Denn diese könnte entscheidend dafür sein, dass Schlittenbauer ein Alibi hat oder nicht.
Wie wahrscheinlich waren Heudiebstähle? Reichte ein Hund für die Bewachung nicht aus? Waren keine anderen Leute da, die eine solche Heuwache mitmachen konnten?

Hintergründe

Bedeutung von Heu für die damalige Landwirtschaft

Das Vieh stellte für die Landwirte ein wichtiges Kapital dar. Es sicherte mit seinen Produkten wie Milch (und daraus Buttermilch, Sauermilch, Butter, Sahne, Käse uv,.) sowie mit Eiern und Fleisch die Existenz, denn man musste diese Lebensmittel nicht zukaufen.
Einzelne Tiere konnte man zudem verkaufen und gute Preise erzielen.
Nicht vergessen sollen auch die Arbeitstiere sein, wie die Ochsen und Kühe, die zum Ziehen verschiedenster Fuhrwerke und zum Antreiben von Göpeln eingesetzt wurden (Pferde gab es damals auf Hinterkaifeck nicht). Auch der Hofhund war streng genommen ein Arbeitstier, das täglich seine Aufgaben erfüllte.

Zwar wurden im Winter die Tiere auch mit Futterrüben und abgekochten Kartoffeln, die Hühner mit Getreide und Küchenabfällen gefüttert, aber für die Rinder war Heu als Hauptnahrungsmittel unverzichtbar. Die Ernte von Heu erfolgt in guten Jahren dreimal. Das Heu kommt gut getrocknet auf den Dachboden und wird portionsweise zum Verzehr in den Stall gebracht.
Nach einem Winter muss das Vieh erst langsam auf Frischfutter umgestellt werden, was nach der Userin Theresia ca. 4-6 Wochen dauert. Auch in dieser Zeit ist Heuzufütterung unumgänglich. Heu wird auch heute noch von Oktober bis März/April verfüttert. Danach kommt das Vieh regelmäßig auf die Weide und kann frisches Gras zu sich nehmen bis zum nächsten Winter.

Wetter

Um die damalige "Heusituation" bei den Bauern vor Ort abschätzen zu können, hilft es, sich ein wenig mit dem Wetter zu befassen.

Wetterverhältnisse im Sommer und Herbst 1921

Der Sommer 1921 wird in mehreren Chroniken als extrem trocken und heiss beschrieben. Der Herbst war nur kurz und wurde von einem frühen Wintereinbruch schon im spätern Oktober abgelöst. Danach bleibt der Winter normal kalt.

Frühjahr 1922

Anfang/Mitte Februar setzt Tauwetter ein, Anfang März ist es frühlingshaft mit Tageshöchsttemperaturen um 14 °C, Nachtfrost gibt es über Wochen keinen mehr.
Ab dem 7. März herrscht eine wechselhafte Witterung, die darin mündet, dass am 20. März der Winter mit aller Macht zurückkehrt. Eistage (durchgängige Temperaturen unter 0°C) und Schneefälle lassen über Tage eine geschlossene Schneedecke wachsen. Mehr Informationen zum Wetter damals finden Sie auf unserer Spezialseite zum Thema.

Heuvorräte im Frühjahr 1922

Erntejahr 1921

Das Erntejahr 1921 war für die allermeisten Regionen Bayerns sehr schlecht. Dazu trug Düngemittelknappheit bei, aber eben auch das beständig trocken-heiße Wetter des sehr langen Sommers. Der verfrühte Wintereinbruch machte zudem die Hoffnung auf eine dritte Heuernte zunichte, die gerade in diesem Jahr sehr wichtig gewesen wäre.
Es muss davon ausgegangen werden, dass die Heuernte deutlich geringer ausfiel, als in anderen Jahren.

Verbrauch und nötiger Ertrag

Verbrauch: Im Film "Anno dazumal" wird der Heuverbrauch einer damaligen Kuh mit 20 Zentnern pro normalem Winter beziffert.
Ca. 10 Stück Vieh brauchten demnach mind. 200 Zentner Heu, das sind 10 Tonnen.
Ertrag: Man konnte damals mit einem Heuertrag von ca. 10-20 Zentner pro Tagwerk rechnen, also ungefähr mit 30-60 Zentnern pro Hektar. Um die abgeschätzten 200 Zentner Heu zu produzieren musste demnach eine Fläche von 3-6 Hektar (einfache Ernte) abgeerntet werden, bei zweifacher Ernte entsprechend weniger, ca. 2-3 Hektar.

Länge der Fütterungsperiode Winter 1921/1922

Ein durchschnittlicher Winter dauert zwischen 3 und 4 Monaten. In diesen ist das Vieh auf Zufütterung von Heu angewiesen.
Mit dem frühen Wintereinbruch 1921 und der heftigen Rückkehr des Winters im Frühjahr 1922 wurde die Zufütterungsperiode gegenüber normalen Jahren um 6-8 Wochen verlängert, was nach den obigen Überlegungen pro Rind mit 5-7 zusätzlichen Zentnern Heu veranschlagt werden muss.

Mögliche Vorräte Ende März 1922

Die Heuvorräte dürften Ende März 1922 für Bauern zur Neige gegangen sein, leider werden in den Inventarlisten keine genauen Angaben über das verbliebene Heu gemacht.

Heudiebstähle

In der Literatur sind einige Beispiele von Heudiebstählen verzeichnet, im Mittelalter gab es sogar spezielle Strafmaße für Heudiebstahl.
Vor allem Kleinstbauern ohne eigenes Land (also Menschen mit sehr wenig Vieh, das kaum den Eigenbedarf abdeckte) und somit ohne eigene Heuernte konnte ein langer Winter die Existenz gefährden. Wenn überhaupt ein Bauer noch genug Heu hatte und sich überreden liess, es zu verkaufen, waren die Preise hoch. Kaum ein Kleinstbauer konnte sich das leisten. Einziger Ausweg schien oft, sich das Heu zu klauen.

Aktenfundstücke

Im Laufe der Jahre wurde die Geschichte immer mehr aufgebauscht, Schlittenbauer soll rund um die Uhr auf dem Heuboden gewesen sein, es soll ihm Essen hinaufgebracht worden sein und Störungen durch seine Familie seien nicht erwünscht gewesen.
Was aber ist belegt von dieser Heuwache? Was sagen die Akten?

Angaben des Schreiners Bley 1929

  • "Zur Zeit, als von der Mordtat bekannt wurde, sagte Frau Schlittenbauer zu Sigl: “Mein Mann ist auch schon ein paar Tage abgegangen, er ist im Heu droben gelegen, weil er Räuber vermutet hat“. Sigl will zu Frau Schlittenbauer gesagt haben: “Ja warum geht denn der ins Heu nauf“. Darauf hat sie aber keine Antwort mehr gegeben." [1]

Verhör Schlittenbauer 1931

  • "Frage: Es ist auch erzählt worden, daß sie zur Tatzeit nachts nicht zu Hause waren, sondern angeblich im Heu geschlafen haben? Antwort: Wie nur die Leute so etwas sagen mögen, davon mag ich gar nichts hören. Es ist ja nicht wahr, ich bin bei meiner Frau gewesen." [2]

Aussage Sigl 1952

  • "Auffallend ist, dass 2 oder 3 Tage vor Entdeckung der Tat aus dem Anwesen Schlittenbauer Heu gestohlen worden sein soll. Aus diesem Grund hätte sich Schlittenbauer in den Abendstunden jeweils auf seinem Dachboden versteckt gehalten, um einen Täter evtl. zu überraschen. Seine Kinder haben damals immer ausgesagt, dass der Vater sich auf dem Heuboden versteckt aufhalte, um den Täter zu erwischen. Ich betrachte dies als Vorwand und kann mir denken, wo Schlittenbauer sich in der Zeit aufgehalten hat." [3]

Wie glaubhaft sind die Heuwachen rund um die Tatzeit?

Pro

  • die Heuvorräte waren knapp
  • Heudiebstähle waren eine reale Gefahr
  • nachdem Tod von Schlittenbauers jüngster Tochter Anna am Mittwoch, den 26. März 1922, könnte er Ruhe gesucht haben
  • entweder am Dienstag oder Mittwoch vor der Tat wird von Schaupp ein Streit im Schlittenbauerhof beobachtet, auch dies kann Grund gewesen sein, sich eine Auszeit zu nehmen
  • Bley schnappte die Geschichte 1930 auf und gibt sie in einer offiziellen Aussage zu Protokoll. Der von ihm erwähnte Sigl bestätigt dann 1952 diesen Sachverhalt

Kontra

  • ein Mann, der Tag und Nacht eigenständig das Heu bewacht und dabei seine Pflichten im Hof und im Stall vernachlässigt, zudem nicht gestört werden will, ist auffällig, zumal diese Heuwachen genau in eine kritische Zeit fallen, in der auf dem 500m entfernten Nachbarhof 6 Menschen ermordet wurden.
  • Schlittenbauer selbst leugnet in seiner Aussage 1931 diese Heuwachen und die Polizei insistiert nicht weiter, scheint ihm Glauben zu schenken
  • Schlittenbauer hätte kaum seine Arbeit liegen lassen und seine Familie hätte ihm kaum diesen Freiraum eingeräumt
  • Es gab Mitte der 20er einige Leute, die den Verdacht ganz konkret auf Schlittenbauer gelenkt haben, diese Heuwachen rücken ihn definitiv ins Scheinwerferlicht
  • Das Wetter und insbesondere die Nächte waren sehr kalt, zu kalt um 24h auf einem zugigen Dachboden zu verbringen

Offene Fragen/Bemerkungen

Ob dieser Sachverhalt direkt etwas mit den Morden auf Hinterkaifeck zu tun hat ist nicht klar. Fakt ist, dass diese Heuwachen in eine relevante Zeit fallen und dass ausgerechnet Schlittenbauer, einer der Tatverdächtigen, diese Heuwache abgehalten haben soll. Dies hätte ihm nicht nur das Alibi genommen, es hätte ihm auch die Möglichkeit gegeben, unbemerkt die Tat zu verüben. Wie schon bei den Kontraargumenten aufgelistet gab es auf der anderen Seite Viele, die Schlittenbauer gerne der Tat überführt haben, inwiefern die Geschichten mit der eindeutigen Intension also glaubhaft sind bleibt fraglich, zumal zwischen Tat und Bekanntwerden dieses möglichen Sachverhaltes viele Jahre vergangen sind, in denen Erinnerungen und Erzählungen viele Anpassungen erleiden.

Sollten Sie eigene Argumente für oder wider die Fragestellung haben, so schreiben Sie uns einfach über das Kontaktformular oder per Email. Sie können sich auch gerne in unserem Forum anmelden und mitdiskutieren.

Quellen/Herkunft

[1] Aussage Bley 1930
[2] Aussage Schlittenbauer 1931
[3] Aussage Sigl 1952


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