Zeitungsartikel: 1951 Hecker Serie 06

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Die Mordnacht in Hinterkaifeck

Detailinformationen

Datum

1951

Ort

Ingolstadt

Art des Dokumentes

Zeitungsserie

Verfasser

Josef Ludwig Hecker

Verfasst für

Donaukurier

Inhalt

DIE NACHT IN DER ES GESCHAH
Am folgendem Nachmittag - das Wetter ist immer noch sehr unfreundlich - trifft die erwartete Magd mit Rucksack und Regenschirm ein. Sie heißt Maria Baumgartner, steht im 45. Lebensjahr und ist in Kühbach bei Aichach beheimatet. Andreas Gruber betrachtet sie aufmerksam. Die Anmeldepapiere, die sie ihm überreichen will, weist er zurück. Er kennt keine Anmeldung. Es geht weder den Ortsführer noch den Bürgermeister etwas an, wer bei ihm arbeitet. So hat er es immer gehalten, und davon weicht er nicht ab.
Viktoria führt die Magd in ihre Kammer. Maria Baumgartner stellt ihren Rucksack neben dem Bett nieder. Er enthält ihre Habseligkeiten, ein Kleid, etwas Wäsche und ein dickleibiges Gebetbuch. Es steht ein alter Schrank in der Kammer, aber den hat Viktoria noch nicht ausgeräumt. Die Magd ließ also ihre Dinge noch im Rucksack. Sie wechselt das Kleid und Schuhe, dann findet sie sich in der Küche ein, und beginnt da sofort die Arbeit.

Inzwischen steht Andreas Gruber im Hof und pumpt einen Eimer voll Wasser.
Der Postbote aus Waidhofen kommt vorüber. Er ist ein munterer Bursche und gern gesehen in allen Häusern, nur Hinterkaifeck bleibt ihm verschlossen. Lediglich einmal im Monat, wenn er eine kleine Rente bringt, darf er die Küche betreten. Die Leute in Waidhofen und anderswo fragen ihn oft, ob es zuträfe, daß die Hinterkaifecker ein so seltsam und geradezu menschenscheues Dasein führten. Sie sollten jeden Vorübergehenden mit unverwandter Neugier betrachten, dann aber, wenn sichjemand dem Hofe nähere, von Tür und Fenster verschwinden und auf kein noch so langes Pochen öffnen. So ähnlich verhält es sich wohl, andererseits aber fehlen die alten Grubers keinen Sonntag in der Waidhofener Kirche, und Viktoria ist als gute Sängerin auf dem Kirchenchor bekannt. Es gibt Hamsterer , die nicht vergeblich in Hinterkaifeck vorsprechen, und es gibt Leute in Gröbern, die dem alten Gruber erhebliche Hilfsbereitschaft nachrühmen. Insgesamt ist es richtig, daß die drei Leute am liebsten ihre Ruhe haben. Aber dies ist ja wohl nichts Unrechtes.

Heute hat der Postbote nichts für die Hinterkaifecker, dennoch bleibt er am Wege stehen, um mit dem alten Gruber zu plaudern. Dieser unterbricht seine Schöpftätigkeit. Mit zwei Fingern der linken Hand stellt er mühelos einen gefüllten Eimer beiseite. Er ist ein bärenstarker Mann und kennt trotz der unruhigen Zeiten keine Furcht. Im vergangenen Jahr er ist es gewesen, daß in Waidhofen eines Abends ein junges Mädchen vermißt wurde. Um Mitternacht kam der Postbote, der sich an der Suche beteiligte, an Hinterkaifeck vorüber. Da die Grubers das Mädchen Abends vielleicht gesehen haben konnten, klopfte er ans Fenster, obwohl er damit rechnete, daß man ihm nicht öffnete. Aber es währte gar nicht lange, und Andreas Gruber machte die Tür auf und fragte, eine Mistgabel in der Rechten, nach dem Begehr des Draußenstehenden. Hieran erinnert sich der Postbote, während er mit dem Alten plaudert. Dann setzte er seinen Weg fort, nicht ahnend, daß er den alten Mann zum letztenmal lebend gesehen hat.
Noch jemand kommt an diesem Nachmittag am Hof vorüber. Es ist die siebzehnjährige Käthe Kreutmeyr, die in einem der Nachbarhöfe dient. Sie hat oft mit den alten Grubers und mit Viktoria sonntags den Weg zur Kirche nach Waidhofen zurückgelegt. Viktoria steht eben unter der Haustür und betrachtet den grauen Regenhimmel. "Hoffentlich ist am Sonntag besseres Wetter, sonst müssen wir daheim bleiben", ruft ihr Käthe zu.
Die junge Bäuerin schüttelt den Kopf: "Das Wetter mag sein, wie es will, die Kirche schwänz' ich nicht."
Sie wechseln noch ein paar Worte, dann geht das Mädchen weiter. Eine Weile später kommt die kleine Cäzilie von der Schule heim. Sie berichtet freudig von einer Theateraufführung, die den Schulkindern am folgenden Tag geboten werden soll. Die Lehrerin hat ihr versprochen, daß sie in der ersten Reihe sitzen dürfe, weil sie eine fehlerlose Aufgabe abgeliefert hat. Viktoria streichelt das Haar der freudig Erregten.
Der Abend bricht frühzeitig herein. Der Regen läßt etwas nach, dafür kommt wieder der Sturm auf. Draußen knarren und ächzen die Bäume, der Wind heult ums Gehöft. Das Abendessen geht einsilbig vorüber. Hernach begleitet Viktoria die Magd in den Stall. Sie füttert und tränkt die Tiere, und nachdem sie die Magd eine Weile beim Melken beobachtet hat, kehrt sie in die Küche zurück.
Ihre Mutter hält den kleinen Josef in den Armen. Der Bub hat ein stark gerötetes Gesicht und ist nicht so lebhaft wie sonst. Viktoria nimmt ihn zu sich, dann bettet sie ihn in den Wagen und rollt das Gefährt ins Schlafzimmer ihrer Eltern. Hierauf setzt sie sich mit ihrem Strickzeug auf die Ofenbank in der Küche, um ein Paar Srtümpfe, die sie für ihren Vater anfertigt, zu vollenden.
Nebenan klirrt der Milcheimer. Die Magd tritt in die Küche. Sie kramt noch ein wenig umher, dann wünscht sie gute Nacht und begibt sich in ihre Kammer. Viktoria strickt, ihre Mutter bessert ein Kleidungsstück aus, und ihr Vater liest das Bauernblatt. Cäzilie lernt ein Gedicht, das sie am kommenden Montag zum Namenstag ihrer Lehrerin aufsagen soll.
Die Küchenuhr rasselt acht asthmatische Schläge herunter, und als der letzte Ton verhallt ist, wird das Weinen des kleinen Josef laut. Viktoria will sich erheben, aber ihr Vater winkt ihr, sitzen zu bleiben. Es ist ohnehin seine Absicht, sich zur Ruhe zu begeben, dabei will er sich des Kleinen annehmen. Er greift in den Wehbrunnkessel an der Tür, sagt "Gute Nacht" und geht.
Die alte Frau setzt sich mit dem Kleidungsstück, an dem sie arbeitet, an die Seite ihrer Tochter. Sie näht noch einige Stiche, dann senkt sie die Hand mit der Nadel. Da neigt Viktoria ihre Stirn an die Schulter ihrer Mutter. "sei still!" sagt sie und hält die Augen geschlossen. "Es ist alles gut. Ich glaube, daß alles gut ist..."
Ihre Mutter schüttelt den Kopf. Sie hat zu viel auf dem Herzen, sie muß sprechen. Aber es ist zu spät. Die eisige Hand des Schicksals ist bereits am Werk. Aus dem Stall dringt plötzlich das Brüllen einer Kuh. Eine Kette rasselt, und dann erfolgt ein dumpf polterndes Geräusch. Es hört sich an, als habe sich eines der Tiere losgemacht und sei im Dunkeln irgendwo heftig angestoßen.

                                        

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