War der kleine Josef normal entwickelt?

Wenn man über den Inzest auf Hinterkaifeck nachdenkt und die auffälligen Vorgänge rund um die Vaterschaftsanerkennung durch Lorenz Schlittenbauer, dann taucht häufig die Frage auf, ob der Josef nicht ein Inzestkind gewesen sein kann. Damit einhergehend sind umgehend Fragen zum Entwicklungsstand des 2,5-Jährigen verbunden.

Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, dass zu dem Kind eigentlich kaum Informationen vorhanden sind. Wir wissen, dass er im Stubenwagen erschlagen wurde. Auch das verwundert.

Jedoch waren die Kinder mit 2,5 Jahren damals deutlich kleiner als heute (ca. 90cm) und der Stubenwagen mit deutlich über 1m hätte (noch) gepasst. In Ermangelung an Spielzeug passt die Aussage des Postboten Mayer von 1952 ganz gut ins Bild, der davon sprach, dass der Wagen immer in der Küche stand und das Kind sich dort selbst schaukelte. Der Stubenwagen mag also durchaus noch von Nutzen gewesen sein, wenn das Kind dort verräumt war und sich selbst beschäftigte.

Nach der Tat war der Stubenwagen nicht in der Küche, so dass davon ausgegangen werden kann, das Kind sei schlafend ins unbeheizte Schlafzimmer geschoben worden, vielleicht sogar um dort später in sein Gitterbett, das man auf 1 Tatortfoto sieht, umgelegt zu werden.

Die einzige direkte Information über seinen Entwicklungszustand ist der Aussage seines offiziellen Vaters Lorenz Schlittenbauer zu entnehmen: Frage: Haben Sie das Kind öfters besucht?
Antwort: Besucht nicht, aber zuweilen getroffen. Ich habe mit dem Kind zuweilen gesprochen, wenn ich in den Äckern gearbeitet habe und das Kind zu mir herlief.“

Josef konnte also laufen und zumindest ansatzweise ein Gespräch mit Erwachsenen führen.

Auffälligkeiten sind nicht bekannt, weder in den Akten noch in den fast 300 Zeitungsartikeln zum Fall, die wir mittlerweile sammeln konnten.

Warum dauerte es 4 Tage bis zur Entdeckung der Tat?

Die Tat geschah irgendwann am Abend des 31. März 1922, einem Freitag. Bis zur Entdeckung der Tat sollte es bis zum Dienstag Nachmittag dauern, obwohl einige Anzeichen schon früh dafür sprachen, dass etwas nicht in Ordnung war. Über die Gründe, warum die Fäden nicht zusammenliefen, kann man natürlich nur spekulieren. Ein Grund mag die (soziale) Abgeschiedenheit sein, in die die Familie sich begeben hatte. Die Abgeschiedenheit des Hofes tat zusammen mit dem andauernd nass-kalten Wetter sicher sein Übriges. Zudem war Wochenende und gerade Verabredungen und Termine mit den Opfern waren nicht zu erwarten, es gab an diesem Wochenende keine hohen Feste. Aber – und das ist bemerkenswert – zwei unserer Opfer hatten tatsächlich „Aufgaben im Dorf“ zu erfüllen: die kleine Cilli kam am Samstag nicht zur Schule und Viktoria Gabriel verpasste Sonntag früh ihren Einsatz als Erste Sängerin im Waidhofener Kirchenchor.

Sehr wahrscheinlich ist, dass jedes einzelne Puzzleteil für sich genommen kein alarmierendes Zeichen darstellte: Kinder waren schon einmal krank, Türen schon einmal verschlossen. Und: die einzelnen Puzzlesteine wurden lange Zeit nur immer von wenigen Menschen bemerkt. So zum Beispiel Cillis Fehlen von ihrem Klassenkameraden. Aber damals wurde Kindern nicht so ohne Weiteres Aufmerksamkeit zuteil, so dass womöglich diese Rückmeldungen ausblieben oder gar nicht bei Vater oder Mutter ankamen, viele Biografien berichten davon, dass Kinder am Tisch gar nicht reden durften. Vielleicht ist es also auch wichtig, die damaligen sozialen Strukturen in die Betrachtung einfliessen zu lassen. Wahrscheinlich wäre auch heute noch die schiere Dimension des Verbrechens so unvorstellbar, dass man bei ausbleibenden Lebenszeichen immer noch davon ausgehen möchte, dass sich eines der anderen Familienmitglieder noch rühren könnte. Dass alle ermordet wurden ist unfassbar und damit nicht die naheliegendste Erklärung.

Erst am Dienstag zum nachmittäglichen Vesper beim Nachbarhof der Schlittenbauers liefen so viele Informationen zusammen, dass man sich Sorgen machte. Lorenz Schlittenbauer erfuhr von den Töchtern, dass schon am Samstag die Kaffeehändler niemanden angetroffen hatten. Einer der Söhne konnte von Cillis Fehlen in der Schule berichten, nunmehr fehlte sie den dritten Tag. Der Monteur hatte ebenfalls eben berichtet, dass er niemanden auf dem Hof antreffen konnte.

Schlittenbauer trommelte 2 Nachbarn zur Nachschau zusammen, nachdem seine Söhne in Hinterkaifeck waren und ebenfalls niemanden gesehen hatten.

Könnte eine DNA-Analyse heute noch den Fall klären?

Auch wenn wir wissen, dass der Mordfall von Hinterkaifeck verjährt ist (siehe Frage & Antwort I), so wird die Frage nach einer kriminalistischen Klärung per DNA oft gestellt.

Unsere Antwort fällt hier ernüchternd aus: nein. Warum lest Ihr im folgenden:

Welche Fragen wären offen?
Da das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Viktoria und ihrer Mutter feststeht und man Maria Baumgärtner eher keine Tatrelevanz zuspricht kämen nur Vaterschaftsklärungen in Frage: war Andreas Gruber der Vater von Viktoria Gabriel? War Cilli die Tochter von Karl Gabriel? Wer war der Vater von Josef Gruber?

Was könnte man noch finden?
Tatsächlich wurden noch gut 90 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Gebeine von gefallenen Soldaten gefunden und oft können auch noch Jahrzehnte später per DNA-Analyse Knochen identifiziert werden. Entscheidend sind die Lagerbedingungen und die wenigsten Friedhöfe wirken konservierend.
Alle 6 Opfer sind auf dem Friedhof von Waidhofen begraben.
Nach fast 100 Jahren könnten bei idealen Verhältnissen noch Gebeine der Erwachsenen vorhanden sein. Kinderskelette sind in der Regel nach einigen Jahren vollständig verwest.

Was steht dagegen?
Die Totenruhe der Opfer. Sie ist ein hohes Gut und sollte gewahrt bleiben.
Und ob lebende angehörige Personen bereit wären, ihrerseits Speichelproben abzugeben, steht in den Sternen.
Zudem wäre eine solche Aktion nur für den Fall erhellend, wenn Hintergrund der Tat eine Beziehungstat war. Für eine andere Option spielen Verwandtschaftsverhältnisse keine Rolle.

Was könnte realistisch noch geklärt werden?
Eher nur noch das Verwandtschaftsverhältnis von Viktoria Gabriel zu Andreas Gruber. Das wurde nie angezweifelt und spielt für die Tat augenscheinlich keine Rolle.

Warum wäre eine Klärung der offenen Fragen nicht automatisch eine Klärung des Falles?
Der Schlüssel des Falles ist 1922 zu finden, vielleicht auch in den Jahren zuvor.
Die Tat geschah unter dem Einfluss dessen, was Täter und Opfer 1922 wussten, vermuteten, ahnten, befürchteten. Eine heutige Klärung von Teilfragen hätte keinen Einfluss auf damalige Gemütslagen und Kenntnisstände.

Wie war der Hof aufgebaut?

Der Hof Hinterkaifeck bestand in der Hauptsache aus einem Haupt- und einem Wirtschaftsgebäude, die aneinander gebaut waren. Ein südlich gegenüber des Innenhofes stehende Schuppen ist auf einem der Tatortfotos zu sehen.

Es gab 3 Tatorte: im Stadel, wo vier der sechs Leichen gefunden wurden, im Wohnbereich in der Magdkammer und im dortigen Schlafzimmer.

Wo lag Hinterkaifeck?

Etwa 500m westlich der damaligen Ortsgrenzen von Gröbern, Bayern, lag der Hof Hinterkaifeck. Er wurde 1923 abgerissen und heute befinden sich an der ehemaligen Hofstelle Felder.
Gröbern war 1922 ein Ortsteil von Wangen, heute ist es Waidhofen zugehörig.
Waidhofen war der nächste Ort und gehört heute zum Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.

Die Position des Hofes kann gut eingegrenzt werden. Mehr Informationen hierzu gibt es im Wiki.